aus WAZ vom 17.06.2020

Eltern in der Krise nicht allein lassen

Im Opstapje-Programm des Kinderschutzbundes gibt es aktuell keine persönlichen Begegnungen.

Die Kontakte werden per WhatsApp und Video-Telefonie aufrecht erhalten

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nur fürs Foto rücken Opstapje-Koordinatorin Nadine Wieschollek, Hausbesucherin Mürvet Colak, Mutter Nergiz Atlig und die Zwillinge Poyraz und Tufan näher zusammen. Lutz von Staegmann FUNKE Foto Services

Elke Hautmann

Poyraz und Tufan sind Zwillinge, heute auf den Tag genau ein Jahr alt. Seit Januar nimmt Ihre Mutter Nergis Atlig mit den Jungs am Spiel- und Förderprogramm Opstapje teil, das der Kinderschutzbund in Kooperation mit dem Sozialdienst katholischer Frauen anbietet. Für die Grundschullehrerin bedeutet das eine wichtige Unterstützung bei ihrer Aufgabe, die altersgemäße Entwicklung ihrer Kinder zu fördern. Deshalb war die Enttäuschung groß, als nur wenige Wochen nach dem Start die Corona-Pandemie die Aktivitäten stoppte.

Keine Hausbesuche der Fachkraft mehr, die regelmäßigen Gruppentreffen gestrichen. „Das war eine schwierige Situation. Schließlich wollten wir gerade in diesen Zeiten die Familien nicht allein lassen“, sagt Dr. Peter Fischer, Vorsitzender des Kinderschutzbundes. „Aber wir haben neue Wege gefunden, die Kontakte nicht abreißen zu lassen“, ergänzt Nadine Wieschollek, pädagogische Fachkraft beim Kinderschutzbund und Koordinatorin des Opstapje-Programms.

Mürvet Colak ist eine der drei Hausbesucherinnen, die sich aktuell um 19 Familien mit insgesamt 30 Kindern kümmern. Die Spiele, Bilderbücher und anderen Materialien, die sie üblicherweise mitbringt und gemeinsam mit den Eltern und Kindern in der häuslichen Umgebung einsetzt, landen zwar aktuell nur im Briefkasten, genau wie die Literatur zu Erziehungsthemen, aber allein bleiben die Eltern damit auch in Corona-Zeiten nicht.

„Über WhatsApp oder Telefon stehen wir mit allen Familien in Verbindung“, erklärt Mürvet Colak. „Wir erklären, welche Materialien welche Sinne der Kinder anregen und was sie für die geistige Entwicklung bedeuten. Wir geben den Eltern Tipps und Ratschläge bei Problemen, sprechen über ihre Sorgen. Und per Videoanruf können wir je drei Familien gleichzeitig dabei auch sehen, damit die Kinder uns nicht vergessen und wir uns davon überzeugen können, dass alles in Ordnung ist. Diese Art der Begegnung ersetzt zurzeit die Gruppentreffen.“ Nergis Atlig ist froh über diese Unterstützung: „Man ist auch in diesen Zeiten nicht allein mit seinen Problemen, man fühlt sich einfach sicherer.“

Nötige Abstände lassen sich mit kleinen Kindern nicht einhalten

Schöner wären natürlich echte Kontakte. „Im persönlichen Gespräch merkt man, dass andere Eltern ähnliche Sorgen haben, ganz alltägliche oft. Und wichtig finde ich auch, dass Kinder andere Kinder treffen“, sagt die junge Mutter. Darauf allerdings werden sie und die anderen Familien noch warten müssen. „Wir wollen kein Risiko eingehen. Die nötigen Abstände lassen sich mit kleinen Kindern nicht einhalten“, sagt Nadine Wieschollek. „Wir hoffen, dass unsere Gruppentreffen im Kindergarten Oase nach den Sommerferien wieder stattfinden können, und Hausbesuche kann man möglicherweise nach draußen verlagern.“

Eine wichtige Entscheidung für die Entwicklung und Zukunft der Zwillinge Tufan und Poyraz ist glücklicherweise gefallen, bevor Corona intensive persönliche Gespräche unmöglich gemacht hat: Die Eltern waren unsicher, ob sie Deutsch oder Türkisch mit ihrem Nachwuchs sprechen oder sie zweisprachig aufwachsen lassen sollen.

Grundschullehrerin Nergis Atlig trifft beruflich immer wieder auf Kinder, die weder die eine noch die andere Sprache fehlerfrei beherrschen. Das wollen sie und ihr Mann, auch dank der Beratung im Opstapje-Programm, auf jeden Fall verhindern, und deshalb gilt: Zu Hause wird Türkisch gesprochen, ab der Haustür ausschließlich Deutsch.

Die Nachfrage ist groß

Das Opstapje-Programm läuft seit 2007. In dieser Zeit hat sich der Kinderschutzbund, in Kooperation mit dem Sozialdienst katholischer Frauen, um mehr als 450 Familien gekümmert. Ziel ist, die altersgemäße Entwicklung der Kinder zu fördern und Eltern in ihrer Aufgabe als Erziehungspersonen zu stärken.

Finanziert wird das Projekt mit städtischen Mitteln in Höhe von 30.000 Euro jährlich . Die Nachfrage ist groß. Aktuell stehen zehn Familien auf der Warteliste. Ausgeweitet werden kann das Programm nicht. Dazu fehlen dem Kinderbesund die finanziellen Ressourcen und größere Räume für die Gruppentreffen.